Das Mittelalter auf der Nase – über die Erfindung der Brille von Chiara Frugoni

Was verdanken wir dem Mittelalter? Diese Frage beantwortete die Professorin für mittelalterliche Geschichte, Chiara Frugoni, in ihrem aktuellen Buch. Brille, Papier, Wasserzeichen, Buchdruck, arabische Ziffern, die Null, Banken, Notare und die Tonleiter hatten nebst vielen anderen Dingen ihren Ursprung im Mittelalter. Interessant für das augenoptische Fachpublikum ist natürlich der Brillenteil.

Frugoni widmete etwa ein Sechstel des Buches der Entstehung der Brille im Mittelalter. Die Autorin führt in ihrem Buch die ersten schriftlichen Erwähnungen von Brillen im Anfang des 14. Jahrhunderts an. So existiert eine Mitschrift einer Predigt von Giordano da Pisa aus dem Jahr 1305. Der Dominikanermönch erzählte von Brillen, welche die Sehkraft verbesserten. Es selbst habe denjenigen gesehen, der sie zuerst anfertigte. Auch der Dichter Francesco Petrarcia schrieb 1351, dass er zur Brille greifen müsse da ihn seine Sehkraft verließ.

Nicht vergessen wurde auf die historischen Versuche vor Jahrhunderten gewissen Personen die Erfindung der Brille in die Schuhe zu schieben. Dies geschah oft wissentlich um einer Stadt unverdient Ruhm und Ehre zuzuführen.

Im gegenständlichen Buch finden sich auch einige sehr schöne Abbildungen von Gemälden alter Meister, welche die damals neu erfundene Brille in ihr Bild integrierten.

Während sich der erste Teil mit lesen und rechnen, und damit unter anderem mit der Brille beschäftigt, findet sich in den anderen Buchteilen Interessantes zur Uhrenherstellung und Glücksspielen. Der dritte Teil des Buches widmet sich der damaligen Mode und der Erfindung von Knöpfen. Im vieren Kapitel berichtete Frugoni über die Entdeckung der Gabel, während das fünfte Kapitel anschaulich über die Kriegsführung nebst mittelalterlichen Militärerfindungen informiert. Im letzten, sechsten Kapitel finden sich wieder Hinweise auf die Erfindung eines Instruments, welches im Zusammenhang mit unserer Branche steht: der Kompass.

Ohne das Werk Frugonis schmälern zu wollen, waren einige der besprochenen Erfindungen wohl schon zuvor theoretisch von anderen Personen durchdacht worden. So hat sich bereits um das Jahr 1000 der Araber Ibn al Heitham mit der Konstruktion von Lesesteinen beschäftigt. Außerdem gibt es immer noch das ungelöste Rätsel um die Visby-Linsen von schwedisch Gotland, welche auf das 11/12. Jahrhundert datiert wurden. Woher die Wikinger diese asphärischen(!) Linsen hatten ist bis dato nicht geklärt. Zudem finden sich im Buch zwei augenoptisch, fachliche Fehler. Der Begriff Weitsichtigkeit wurde mit Alterssichtigkeit verwechselt. Auch bei der Eigenvergrößerung von Linsen kam einiges Durcheinander. So meinte die Autorin (oder die Übersetzerin), dass Lupen den Weitsichtigen (gemeint sind Alterssichtige) die Betrachtung des Objekts aufgrund dessen Vergrößerung ermögliche, während die bikonvexen Augengläser die unzureichende Wölbung der Linse eines Weitsichtigen (wieder gemeint sind Alterssichtige) ausgleiche und damit die Gegenstände in ihrer wirklichen Dimension zeige. Die durchaus signifikante Eigenvergrößerung von Brillengläsern war der Autorin offensichtlich nicht bekannt.

"Das Mittelalter auf der Nase" ist trotz diesen kleinen (augenoptischen) Hinweisen ein sehr lesenswertes Buch – vermittelt es doch eine sehr gute Einsicht in die erfinderische Bewegung dieser Zeit, in der die ersten Brillen in Nord-Italien auftauchten.

Das 200 Seiten starke Buch ist im C.H. Beck Verlag erschienen und kostete zum Zeitpunkt dieses Artikels 24,90 Euro. Eine Bestellmöglichkeit finden Sie unter anderem hier.