Prof. Otto Wichterle starb vor sechs Jahren am 18. August 1998 schlafend in seinem Sommerhaus in Tschechien. Seine Erfindung der polymeren Hydrogele führte in den 50ern des vorigen Jahrhunderts zu entscheidenden Änderungen in der Kontaktlinsenoptik. Wichterle erblickte am 27. Oktober 1913 in Prostějov – deutsch Prossnitz, einem Ort in Mähren mit etwa 47.000 Einwohnern – das Licht der Welt.
Sein Vater war Mitbesitzer einer Fabrik die Landwirtschaftsmaschinen und Automobile herstellte.
Chemie als Leidenschaft
Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er 1935 bei Professor Emil Votoček am Prager Institut für chemische Technologie. 1936 erhielt Wichterle das Doktorat und entschloss sich nicht im Unternehmen seines Vaters einzusteigen, sondern den Weg als Wissenschaftler weiter einzuschlagen. In Folge arbeitete er bei Votoček in Prag als Assistent bis zur Schließung der Universitäten durch die Nationalsozialisten im Jahr 1939.
Forschung während des 2. Weltkrieges
Während des zweiten Weltkrieges konnte Wichterle seine Forschungen zwar fortsetzen, aber er musste von Prag zu einer Einrichtung nach Mährisch Zlín ausweichen. Dort leitete er ein Team an Forschern, welche Polyamide studierten. Außerdem unterrichtete er einige Personen, die wegen der nationalsozialistischen Uni-Schließung nicht mehr studieren konnten. In dieser schwierigen Zeit entwickelte Wichterle eine Technologie zur Herstellung von Caprolactam – ein Vorprodukt von Polyamid 6 (PA 6). Die industrielle Herstellung dieses Polyamids wurde allerdings erst 10 Jahre später unter dem eingetragenen Warenzeichen Silon realisiert. Grund dazu war die Geheimhaltung der Erfindung vor den deutschen Besatzern und schließlich nach Ende des zweiten Weltkriegs die allgemeine Problematik der Nachkriegsindustrie.
Die Erfindung von HEMA
Gleich nach Ende des zweiten Weltkrieges ging Wichterle zum Prager Institut für chemische Technologie zurück um sein zweites Doktorat in organischer Chemie zu schreiben. Zugleich hielt er Vorträge im Bereich der allgemeinen und anorganischen Chemie. Von 1952 an widmete er sich dem Studium hydrophiler Gele, die ihr Volumen bei Wasseraufnahme erweiterten. Das Ziel war die Erfindung eines Materials welches für künstliche Blutgefäße und unter anderem für Augeimplantate in Frage käme. Im Jahr 1953 beantragte Wichterle das Patent für ein dünn vernetztes Hydrogel, welches er als wasseraufnehmenden Kunststoff bezeichnete. 1955 stellte Wichterle mit seinem Assistenten Dr. Drahoslav Lim das erste Polymer her, welches weiches, biologisches Gewebe sehr nahe kam: 2-Hydroxyethylmethacrylat kurz HEMA genannt. Es wurde unter anderem experimentell als Glaskörperersatz in der Ophthalmologie und später als intraokulare Linse und als Hornhautersatz im Tierversuch erprobt.
Die ersten Hydrogel-Kontaktlinsen im Schleudergussverfahren
In Gesprächen mit Dr. Maximilian Dreifuss, einem tschechischen Augenarzt, kam Wichterle die Idee zur Herstellung von Kontaktlinsen mit dem neuen HEMA-Material. 1961 gelang es Wichterle zuhause in seiner Küche erstmals eine Kontaktlinse aus HEMA herzustellen.

Prof. Wichterle’s erste Schleudergussmaschine
Dazu entwickelte er zuvor das Schleudergussverfahren, welches noch bis heute zur Anfertigung von Kontaktlinsen angewendet wird. Bemerkenswert ist die Tatsache mit welch einfachen Mitteln Wichterle die erste Apparatur zur Anfertigung dieser „Gel-Tact“ Linsen baute, nämlich mit einem „Merkur“-Baukasten für Kinder.
Das Patent wird mehrmals verkauft
Dr. Robert J. Morrison war ein unternehmungslustiger, amerikanischer Optometrist aus Harrisburg/Pennsylvania. Er erkannte 1964 die Möglichkeiten von Wichterle’s Erfindung, reiste in die Tschechoslowakei und kaufte von deren Regierung die Patentrechte für etwa 330.000 US-Dollar. Morrison versuchte nun für sein frisch erworbenes Patent einen Hersteller zu finden, aber scheiterte am totalen Desinteresse der damaligen Industrie.
Zwei Patentanwälte und Investoren sahen, obwohl sie keinerlei technisches Wissen über Kontaktlinsen hatten, ein hohes Potential in Morrison’s Patentrechte schlummern. Martin Pollacks und Jerome Feldman, Eigentümer vom National Patent Development Corp. (NPD) kauften 1965 Morrisons Rechte bereits für eine Million US-Dollar.
Ein Jahr später – 1966 – fand die National Patent Development Corp. Bausch & Lomb als Käufer ihres Kontaktlinsen-Patents um mittlerweile kolportierte drei Millionen US-Dollar. Martin Pollacks gründete übrigens später den Kontaktlinsenkonzern Hydron.
Vor diesem Zeitpunkt waren für die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) Brillengläser, Kontaktlinsen und andere augenoptische Produkte nicht von Interesse. Es gab noch keine Regulierungen oder Einschränkungen für augenoptische Produkte seitens der FDA. Mit der Kenntnis des neuen HEMA-Materials entschied 1968 die FDA, dass alle Kontaktlinsen hinkünftig als Arznei statt wie zuvor als Hilfsmittel eingestuft werden würden. 1971 genehmigte die FDA schließlich Bausch & Lomb den Verkauf hydrogeler HEMA-Kontaktlinsen in den USA.
Unter kommunistischer Regierung
Prof. Wichterle Wichterle äußerte immer wieder seine politische Meinung in der Öffentlichkeit. Während seiner Studien, während der deutschen Besetzung und besonders während des kommunistischen Regimes nach dem Staatsstreich 1948 und der russischen Besetzung (1968-1989). So nahm er auch aktiv an der Bewegung des Prager Frühlings teil und war einer der Autoren des „Manifest der Zweitausend Worte“. Seine zum Teil offene Direktheit gegen das Regime führte bereits 1958 zu seiner Entlassung aus dem von ihm gegründeten Institut an der technischen Universität in Prag während einer kommunistischen Bereinigung.
Nach Auflösung des kommunistischen Regimes wurde Wichterle zum Präsidenten der tschechischen Akademie der Wissenschaften gewählt und erhielt eine Vielzahl tschechischer als auch internationaler Auszeichnungen.
Vor 6 Jahren – am 18. August – starb Prof. Wichterle im 85. Lebensjahr. Er hinterließ seine Frau Linda und seine zwei Söhne Charles und Ivan. Im Jahr August 2004 wäre Prof. Wichterle 90 Jahre alt gewesen.
Literatur:
[1] My Reminiscences on Professor Otto Wichterle; 1998; Milos Hudlický; Department of Chemistry, Virginia Polytechnic Institute and State University Blacksburg
[2] Contact Lens History; Dr. Heidi Wagner, O.D., F.A.A.O.
[3] Handbuch zur Geschichte der Optik; 1992; E.-H. Schmitz
[4] Otto Wichterle; 1999; Hana Barvikova; Academy of Scienes of the Czech Republic
[5] Otto Wichterle, der Erfinder der Weichlinse lebt weiter; die Kontaktlinse 4/99; Dr. Chris O. Imafidon




