Eine Barriere, die nicht durchbrochen werden darf

Moderne Kontaktlinsenpflegemittel können in die natürliche Funktion der Hornhaut eingreifen – hierbei gibt es entscheidende Unterschiede! So sehr operierende Augenärzte auch auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Vorzüge eines refraktiven Eingriffs wie zum Beispiel der Lasik hinweisen – eher dezent im Rahmen berufsständischer Richtlinien in Deutschland, mit teilweise drastischen TV-Werbespots und riesigen Anzeigentafeln (Billboards) in den USA – dennoch haben die operativen Verfahren zur Behebung von Fehlsichtigkeiten das Vertrauen der Patienten in die Kontaktlinse nicht wirklich erschüttern können.

Bemerkt der Kontaktlinsenträger im Alltag irgendetwas Störendes, Irritierendes – nichts ist leichter, als die Linse herauszunehmen und das Problem gegebenenfalls zu beheben. Ein länger andauernder Schaden, der über eine reine Irritation hinausgeht, droht dem Patienten, der zum Refraktionsausgleich Kontaktlinsen benutzt, vor allem dann, wenn die Hornhaut in ihrer Integrität gestört wird. Das Aufbrechen der obersten Hornhautschicht, des Epithels, kann Infektionen mit möglicherweise bleibenden Folgeschäden Tür und Tor öffnen. Ob es zu dieser schweren Komplikation des Kontaktlinsentragens kommt oder nicht, hängt offenbar – neben der persönlichen Kontaktlinsenhygiene, um die es, wie jeder Anpasser weiß, oft nicht zum Besten bestellt ist – auch vom benutzten Pflegemittel ab.

Intakter Zellverband ist wichtig

Das Aufbrechen des Zellverbandes im Hornhautepithel ist ein Risikofaktor für eine bakterielle Keratitis. Dass diese Infektion der Hornhaut bei Kontaktlinsenträgern weit häufiger ist als bei der Normalbevölkerung, ist in epidemiologischen Studien belegt worden. Beim Kontaktlinsentragen kann es zu Mikrotraumen der Hornhautoberfläche kommen, die normalerweise enge Verknüpfung der Epithelzellen mit einander über sogenannte tight junctions kann aufgelöst werden und die Barrierefunktion der Hornhaut kompromittieren. Tight junctions (engl. "dichte Verbindung", lat. Zonula occludens) sind schmale Bänder aus Membranproteinen, die Epithelzellen von Wirbeltieren vollständig umgürten, und mit den Bändern der Nachbarzellen in enger Verbindung stehen (siehe Abbildung zu Artikelbeginn). Auf diese Weise verschließen die Tight Junctions den Zellzwischenraum und bilden eine parazelluläre Barriere genannte Diffusionsbarriere, die den Fluss von Molekülen über das Epithel kontrolliert. Ist der Zellverband des Epithels gelockert, können Bakterien oder gar Amöben in tiefere Hornhautschichten, in das Stroma eindringen, sich dort genüsslich und – sofern der Patient nicht schnell genug zum Augenarzt geht und antiobiotisch behandelt wird – ungestört vermehren. Dabei können schwere Infiltrate entstehen, die im schlimmsten Fall zu irreversiblen Trübungen der Hornhaut und damit einer Visuseinschränkung führen.

Die Barriere, als die sich das Hornhautepithel präsentiert, ist keine gänzlich undurchlässige. Die Zellmembranen dieser Schicht sind semipermeabel und sorgen dafür, dass zum Beispiel Nährstoffe aus dem Tränenfilm den Weg in die Hornhaut finden. Die Augenheilkunde macht sich diese relative Durchlässigkeit des Epithels für ihre medikamentöse Therapie zunutze – wie sollten sonst antibiotikahaltige Augentropfen in das Augeninnere gelangen, wie wäre sonst eine Glaukomtherapie möglich, bei der der Wirkstoff durch die Hornhaut penetriert, um im Auge die Produktion von Kammerwasser zu senken oder dessen Abfluss zu verbessern?

Die Barrierefunktion der Hornhaut kann vor allem von den in vielen Augentropfen enthaltenen Konservierungsmitteln aufgehoben, die Permeabilität kann dadurch erhöht werden – für Medikamente, leider aber auch für Krankheitserreger. Einen solchen Effekt vermutet man auch bei manchen Kontaktlinsenflüssigkeiten. Gerade Mehrzwecklösungen enthalten antimikrobielle Bestandteile, welche in der Lage sind, die Zellmembranen von Bakterien aufzubrechen und somit Infektionen zu verhindern – was sehr erwünscht ist. Doch die gleichen Lösungen können auch auf das Hornhautepithel zytotoxisch wirken und damit dessen Rolle als einer effektiven Barriere beenden – und das ist für den Kontaktlinsenträger hochgradig unerwünscht.

Wissenschaftler am Baylor College of Medicine im texanischen Houston haben jetzt vier moderne Mehrzwecklösungen bezüglich ihrer Wirkung auf die Barrierefunktion kultivierter menschlicher Hornhautepithelzellen untersucht (Chuang E: Effects of Contact Lens Multipurpose Solutions on Human Corneal Epithelial Survival and Barrier Function. Contact Lens 34: 281 – 286, 2008).

Getestet wurden:

  • Lösung A – Complete Easy Rub von Advanced Medical Optics
  • Lösung B – OptiFree Express von Alcon
  • Lösung C – OptiFree RepleniSH von Alcon
  • Lösung D – ReNu MultiPlus von Bausch & Lomb

Um festzustellen, wie groß die Überlebensrate von Hornhautepithelzellen ist, wenn sie der jeweiligen Lösung ausgesetzt sind, wurden 50%ige Verdünnungen der vier Präparate (um die Verdünnung auf der Augenoberfläche durch die Tränenflüssigkeit zu simulieren) den Zellkulturen hinzugefügt. Im Zellkulturinkubator wurden diese Kulturen für 30 Minuten und für eine, zwei, vier und sechs Stunden bebrütet. Zur Kontrolle gegenüber den einer Kontaktlinsenlösung ausgesetzten Kulturen dienten humane Hornhautzellen, die mit einer bekannt harmlosen Kochsalzlösung (HBSS) in Kontakt kamen. Die Zellüberlebensrate wurde mit einem spezifischen Verfahren, dem MTT Cell Viability Assay geprüft. Der MTT-Test ist ein Zytotoxizität-Test. Zellen werden in vitro mit dem namensgebenden Farbstoff, einem gelben Tetrazoliumsalz, behandelt, um ihre Lebensfähigkeit beziehungsweise den Anteil lebender Zellen im Vergleich zu einer Kontrollprobe von Zellen zu messen. Dies ist beispielsweise nach Testung einer giftigen Substanz notwendig. Zwischen den Zellkulturen in Lösung A und den Kontrollkulturen gab es keinen signifikanten Unterschied. Sechs Stunden nach Beginn der Inkubation zeigten indes alle drei anderen Mehrzecklösungen eine gegenüber sowohl Lösung A als auch den Kontrollproben deutlich herabgesenkte Überlebensrate der Hornhautzellen. Noch gravierender waren die Unterschiede bei der Ermittlung der Apoptoserate, dem Ausmaß des Zellsterbens. Dieser “Zelltod” kann im Labor mit einem Farbstoff sichtbar gemacht und ausgewertet werden, der an die zerstörte (fragmentierte) DNA untergegangener Zellen bindet. 30 Minuten nach Exposition gegenüber der jeweiligen Testlösung waren in der Kochsalzlösungsgruppe 5,5% der Zellen abgestorben. In der Population, die mit Mehrzwecklösung A in Kontakt war, lag die Apoptoserate mit 6,7% nur unwesentlich höher. Ganz anders die Ergebnisse in den drei übrigen Kulturen: unter Lösung B waren 16,5% der Zellen abgestorben, unter Lösung C 12,6% und unter Lösung D 10,2%.

Überlebensrate Epithelzellen
Abb. 2: MTT Absorption als Nachweis der Überlebensrate der Epithelzellen der Kornea

Eine weitere Laboruntersuchung bestätigte die unterschiedlichen Auswirkungen der vier Lösungen auf die Barrierefunktion der Hornhaut. Die tight junctions, die engen Verknüpfungen zwischen den Zellen, können durch die Immunfluoreszenzanfärbung zweier Antikörper gegen Proteine, die für diese tight junctions typisch sind, ZO-1 und Occludin, sichtbar gemacht und quantifiziert werden. Je farbenprächtiger das Bild der Zellkulturen unter dem Mikroskop, desto mehr ZO-1 und Occludin liegt vor und desto besser sind die tight junctions bei der Aufrechterhaltung der Barrierefunktion positioniert. Nur die Zellen, die der Kochsalzlösung oder Complete EasyRub ausgesetzt waren, zeigten intakte Abgrenzungen zwischen den Zellen, wie sie bei einem gesunden Auge zu erwarten sind. Nach Exposition gegen die drei anderen Mehrzwecklösungen wurden, wie es die texanischen Wissenschaftler nannte, "signifikante Disruptionen dieser Proteine der tight junctions gefunden."

Hornhautepithel Multifunktionslösungen
Abb. 3: Die hier grün gefärbten tight junctions hemmen das Eindringen pathogener Mikroorganismen

Die Studie mündet in dem Resümee, dass kommerziell erhältliche Mehrzwecklösungen zur Kontaktlinsenpflege in sehr unterschiedlichem Maße mit den Epithelzellen der menschlichen Hornhaut interagieren und dass nur eine der drei getesteten Flüssigkeiten (Complete EasyRub) sowohl die Lebensfähigkeit der Hornhautepithelien als auch deren Barrierefunktion aufrecht erhalten kann. Der Unterschied mag durch das benutzte Konservierungsmittel bedingt sein. Erst vor kurzem hatte eine japanische Untersuchung die besten Überlebensraten von Hornhautepithelzellen unter Polyhexamethylen-Biguanid gefunden – mit diesem Stoff ist Complete EasyRub konserviert. So schlussfolgern die Autoren: "Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Lösung A, eine neue Formel zur Multipurpose-Kontaktlinsenpflege von Advanced Medical Optics, die Lebensfähigkeit und die Barrierefunktion menschlicher Hornhautepithelzellen besser aufrecht zu erhalten vermag, als die drei anderen untersuchten Mehrzwecklösungen."

Literatur:
Effects of Contact Lens Multipurpose Solutions on Human Corneal Epithelial Survival and Barrier Function. Contact Lens 34: 281 – 286, 2008 Wikipedia.de

Autor:
Dr. Martin Lauer Augenzentrum und Augenklinik Viersen
Lindenallee 5B
41751 Viersen / Dülken
Deutschland

eMail: dr.lauer.auge@t-online.de