Angesichts der weltweit starken Zunahme der Kurzsichtigkeit und der damit einhergehenden Zunahme der Augenerkrankungen bei starker Myopie[1] gewinnt das Myopie Management beim Kind in der optometrischen Behandlung immer mehr an Bedeutung. Der erste Schritt im Myopie Management besteht in der Regel in der Abklärung der Risikofaktoren, welche die Entwicklung einer starken Myopie begünstigen.
Nebst Alter, Refraktion/Augenlänge und genetischen Faktoren (Myopie in der Familie, ethnische Zugehörigkeit) sollte hier auch eine Abklärung der Verhaltens- und Umgebungsrisiken des Kindes erfolgen[2]. Zugleich müssen Eltern und Kinder über die jeweiligen Risiken aufgeklärt sowie über mögliche Massnahmen zur Reduzierung des vermeidbaren Risikos informiert werden.
Myopie Management
In der Praxis werden die Verhaltensrisiken heute meist durch Fragebögen oder im persönlichen Gespräch abgeklärt. Vielfach sind Eltern und Kinder jedoch nicht in der Lage, genaue Angaben zu den persönlichen Verhaltensrisiken zu machen, da diese nicht bewusst registriert werden und daher schwierig zu quantifizieren sind. Dementsprechend ist es für den Optometristen schwierig, eine gezielte Empfehlung zur Verhaltensänderung abzugeben, welche für die Eltern und Kinder nachvollziehbar ist. Auch hat der Optometrist im Verlauf des Myopie Managements keine objektive Kontrolle darüber, ob eine Verhaltensänderung beim Kind stattfindet, welche die weitere Entwicklung der Myopie bedeutend beeinflussen kann. Hier bietet Vivior mit dem Erfassen des objektiven Sehverhalten zur Bestimmung der Myopie Risikofaktoren einen Mehrwert für das Myopie Management anbieten.
Das Vivior Konzept
Vivior ist ein Technologie Startup Unternehmen aus Zürich, welches zum Ziel hat, das Sehen mit innovativer Messtechnologie in Verbindung mit einer cloudbasierten künstlichen Intelligenz zu optimieren. Mit dem Vivior Monitor werden erstmalig individuelle Sehverhaltensdaten während einer mehrtägigen Tragezeit gewonnen. Darauf basierend können personalisierte Sehkorrekturlösungen umgesetzt werden. Heute wird der Vivior Monitor bereits in der Ophthalmologie bei der Auswahl einer intraokulären Linse (IOL), sowie in der Optometrie/Augenoptik zur Erfassung der Kundenbedürfnisse und Auswahl von Einstärken- und Gleitsichtdesigns angewendet. Die vielfältige optometrische Anwendbarkeit ist ein weiterer Pluspunkt der Vivior Technologie.
Abb 1: Prozessvisualisierung
Der Vivior Monitor lässt sich einfach an allen Brillenfassungen anbringen und mit einem Gewicht von nur 14 Gramm erfährt der Kunde beim Tragen der Brille keine Beeinträchtigung durch den Monitor. Während der Tragezeit von mindestens vier Tagen misst der Monitor durch eine Vielzahl von Sensoren folgende Daten:
- Entfernungsangaben zu Objekt und Gesichtsfeld
- Lichtverhältnisse
- Kopfbewegung und Position
Nach der Tragezeit werden die Vivior Daten anonym auf einer Cloud gespeichert und unter Anwendung von künstlicher Intelligenz prozessiert um Typ und Dauer der visuellen Aktivitäten (wie Lesen, Arbeit am Computer, Zeit im Freien etc.) zu bestimmen. Über eine Web-Applikation kann der Optometrist die Resultate visualisieren und mit dem Kunden besprechen. Weiter kann er über die Applikation verschiedene Kundenberichte generieren, welche die Resultate zum individuellen Sehverhalten und die dazu massgeschneiderten Lösungen kundenfreundlich erklären.
Nebst Kundenberichten zur Auswahl von Einstärken und Gleitsichtbrillen, bietet Vivior neu auch einen Myopie Bericht zur Abklärung der objektiven Sehverhaltens Risikofaktoren bei Kindern an.
Vivior Myopie Bericht: Risikofaktorenbeurteilung
Der Vivior Myopie Bericht fokussiert auf Sehverhaltens-Parameter, die mit einem höheren Risiko für das Auftreten und Fortschreiten von Myopie in Verbindung gebracht werden. Diese Risikofaktoren werden im Bericht in einem Spinnendiagramm visualisiert und mit einem 3-Sterne-System bewertet. Ein Risikofaktor, der weniger Sterne erzielt und weniger Fläche abdeckt, bedeutet, dass das damit verbundene visuelle Verhalten ein höheres Risiko für die Entwicklung von Myopie birgt. Die Risikofaktor Diagramme werden für Wochentage und Wochenenden getrennt ausgewertet, um mögliche Verhaltensunterschiede zwischen diesen Tagen aufzuzeigen.
Vivior Myopie Bericht: Verhaltensempfehlung
Aufgrund der objektiven Beurteilung der Verhaltensrisiken wird im Myopie Bericht eine persönliche und Algorithmus gestützte Verhaltensempfehlung für das Kind abgegeben. Eine Empfehlung mehr Zeit im Freien zu verbringen wird ausgegeben, wenn die gemessene „Zeit im Freien“, gemittelt über alle Messtage (einschliesslich Wochentag – und Wochenende), weniger als 1 Std/ Tag beträgt. Eine Empfehlung zur Vergrösserung der Lesedistanz wird ausgegeben, wenn die gemessene «Nahsicht Distanz» weniger als 30cm beträgt. Die Empfehlung mehr Pausen während Nahsichtaktivitäten zu machen wird ausgegeben, wenn die gemessene «Episodendauer Nahsicht » mehr als 30min beträgt.
Abb 2: Myopie Risikofaktoren
Abb 3: Vivior Myopie Bericht
Erweiterung des Myopie Management
Angebot und stärkere Kundenbindung in der Behandelung Der Vivior Myopie Bericht ist eine Ergänzung zu den konventionellen Behandlungen im Rahmen des Myopie Managements und soll nicht als Ersatz derselben verstanden werden. Der Optometrist gewinnt aus den objektiven Daten eine verlässliche Bestimmung der Verhaltensrisikofaktoren und kann daraus, gestützt auf die künstliche Intelligenz, gezielte Empfehlungen zu Verhaltensänderung abgeben.
Weiter kann er den Bericht nutzen, um die Verhaltensrisiken im Rahmen des Myopie Managements periodisch zu evaluieren und so den Verlauf der Behandlung abzubilden. Eltern und Kindern hilft der Bericht bei der Einschätzung des persönlichen Risikos und soll zugleich motivieren gezielte Verhaltensänderungen durchzuführen, die sich günstig auf die weitere Entwicklung der Myopie auswirken. Die objektive Messung des Sehverhaltens mit dem Vivior Monitor bindet das Kind stärker in das Myopie Management ein.
Die neue Darstellungsform der Risikofaktoren und der Algorithmus gestützten Auswertung sollen sich ebenso positiv auf die Compliance auswirken.
Erklärungen zu den Myopie Risikofaktoren
Die «Zeit im Freien» wird als durchschnittliche Zeit im Freien pro Tag berechnet (in Stunden/Tag). Zum besseren Vergleich zwischen mehreren Kundenbesuchen wird die berechnete Zeit auf eine 10 Stunden Monitor- Tragezeit normiert. Die vorteilhaften Effekte von mehr Zeit im Freien auf die Indikatoren der Myopie werden in zahlreichen Studien aufgezeigt[3,4].
Sterne Bewertung: * :< 1 Std/Tag, *** :> 3 Std/Tag, Empfohlene Zeit: 2-3 Std/Tag
Die «Nahsicht Distanz» wird als mittlere Entfernung aller Nahaktivitäten (in Zentimeter) berechnet, d. H. Sie ist ein Mass für die Entfernung während Aktivitäten wie Lesen, Smartphone-Nutzung und andere Naharbeiten. Eine kurze «Nahsicht Distanz» wird in verschiedenen Studien mit einem höheren Risiko für Myopie in Verbindung gebracht[5–8]. Sterne Bewertung: * :< 25cm, *** :> 35cm, Empfohlene Distanz: > 30cm
Die «Episodendauer Nahsicht» wird als durchschnittliche Episodendauer ununterbrochener Nahsichtaktivität ohne Pausen von mehr als 15 Minuten berechnet. Studien weisen darauf hin, dass lange, ununterbrochene Nahsichtepisoden (z.B. ununterbrochenes Lesen ohne Pausen) mit einem höheren Risiko für Myopie verbunden sind[7,8]. Tierversuche an Affen weisen auf eine Schutzwirkung von Pausen von 15 Minuten oder länger hin[9,10].
Sterne Bewertung: * : > 37.5min *** :< 22.5min, Empfohlene «Episodendauer Nahsicht»: < 30min
Die «Gesamtzeit Nahsicht» ist die durchschnittliche Gesamtzeit pro Tag (in Stunden/Tag) aller Nahaktivitäten (wie Lesen, Verwenden von Smartphones usw.). Verschiedene Studien weisen auf ein erhöhtes Myopierisiko aufgrund eines längeren Zeitaufwands für Aktivitäten in der Nähe hin[5–8]. Da nicht alle Studien diese Ergebnisse stützen, wird derzeit keine Verhaltensempfehlung auf die «Gesamtzeit Nahsicht» ausgegeben.
Sterne Bewertung: * : > 5.5 Std/Tag, *** :< 2.5 Std/Tag
Die «Beleuchtungsstärke» ist die während der Tragezeit gemittelte Beleuchtungsstärke in der Umgebung (in Lux). Dieser Risikofaktor basiert auf Studien[11–13], in denen ein stärkeres Fortschreiten der Myopie bei Kindern, welche einer geringeren Lichtdosis ausgesetzt waren, aufgezeigt wurde.
Sterne Bewertung: * : < 400 Lux, *** :> 1000 Lux
Die «Monitor Tragzeit» ist die Durchschnittszeit pro Tag [in Stunden/Tag] während dem Daten mit dem Vivior Monitor gesammelt wurden. Es ist kein mit Myopie verbundener Risikofaktor und dient als Kontrollmessung, um anzuzeigen ob genügend Daten gesammelt wurden, um eine zuverlässige Risikofaktorbewertung vorzunehmen.
Sterne Bewertung: * : < 4 Std/Tag, *** :> 10 Std/Tag, keine Empfehlung
Erklärungen zu den Optimierungen des Sehverhaltens
Eine Empfehlung mehr Zeit im Freien zu verbringen wird ausgegeben, wenn die gemessene „Zeit im Freien“, gemittelt über alle Messtage (einschliesslich Wochentag – und Wochenende), weniger als 1 Std/Tag beträgt. In diesem Fall ist das entsprechende Kontrollkästchen markiert.
Eine Empfehlung zur Vergrösserung der Lesedistanz wird ausgegeben, wenn die gemessene «Nahsicht Distanz» weniger als 30cm beträgt.
Die Empfehlung mehr Pausen während Nahsichtaktivitäten zu machen wird ausgegeben, wenn die gemessene «Episodendauer Nahsicht» mehr als 30min beträgt.
Autoren: Andreas Kelch & Daniel Boss
Andreas Kelch (Dipl. Ing. Augenoptik FH)
Andreas Kelch ist als Head Marketing und Sales für den Bereich Vision Care innerhalb der Vivior AG zuständig. Durch vielfältige Tätigkeiten im nationalen und internationalen Optikumfeld verfügt Herr Kelch über optimale Branchenerfahrung und vielfältige Kontakte. Anfragen zu Vivior können Sie an andreas.kelch@vivior.com richten.
Kontakt für Augenoptiker
Vivior AG
Andreas Kelch
Technoparkstrasse 1
8005 Zürich
Tel: +41 78 8160200
Web: www.vivior.com
Referenzen
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