Mit dem Wort außergewöhnlich sollte man in der Regel sparsam umgehen. Im Falle des vorliegenden ersten Bandes zur Geschichte der Kontaklinsen aber allemal zutreffend. Das 362 Seiten starke Buch im A4 Format räumt rigoros mit historischen Unwahrheiten auf. Heitz bespricht im 2003 erschienenen ersten Band den Zeitabschnitt von Leonardo da Vinci bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Gleich zu Beginn seines Buches beschäftigt sich Heitz mit der angeblichen Erfindung von Kontaktschalen durch Leonardo da Vinci zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Dazu sichtete der Autor die in Spiegelschrift handgeschriebenen Originale von da Vinci. Nach einer neuerlichen Übersetzung erfolgte eine eingehenden Analyse der Texte und Grafiken. In einem zweiten Schritt verglich Heitz die Erkenntnisse von da Vinci mit dem Wissensstand der damaligen Zeit. In einem letzten Schritt wurde das Originalmanuskript neu bewertet.
Die Übersetzung des Manuskripts aus dem toskanischen Dialekt war nicht immer einfach. Vielfach wurde die Übersetzung von Linguisten oder Historikern durchgeführt, die nicht immer die sprachlichen Nuancen der Augenanatomie und Augenoptik kundig waren. Dies erklärt die vielen verschiedenen Variationen der Übersetzung von Leonardos Studien.
Heitz strukturierte für das vorliegende Werk da Vinci’s lose Blätter und schuf damit einen durchgehenden Kontext. So finden sich neben vielen Skizzen auch eine Zeichnung zum Auge und ein menschlicher Kopf, der in eine wassergefüllte Schüssel eingetaucht ist. Diese beiden Zeichnungen scheinen bei oberflächlicher Betrachtung ein Indiz zu Überlegungen für eine Korrektion einer Fehlsichtigkeit darstellen. Heitz kam jedoch zu einer völlig anderen Erkenntnis. So befasste sich da Vinci bei ersterer Abbildung lediglich mit der schematischen Darstellung des Auges.
Die Zeichnung mit dem in Wasser getauchten Kopf gab bis dato noch mehr Grundlage zur Aussage da Vinci hätte die ersten Überlegungen zu Kontaktlinsen angestellt. Die bisherigen Autoren meinten, dass die Schüssel eine gigantische Kontaktlinse darstellen würde, welche eine optische Wirkung auf den eingetauchten Betrachter ausüben würde. Auch damit räumt Heitz in seinem Werk auf. Der Kontext zeigt in jeder Beziehung, dass sich Leonardo mit dieser Skizze Gedanken zu catadioptrischen Systemen – also zur Kombination Auge und Spiegel – machte und keineswegs Überlegungen zu einer okularen Korrektion anstellte. Wiewohl die Interpretation dieser Zeichnung nicht ganz einfach ist, beweist Heitz in seinem Werk, dass keineswegs Bezüge zur Kontaktlinsenoptik zulässig erscheinen. Vielmehr präsentierte Leonardo da Vinci eine Beschreibung der Augenanatomie auf Basis von Bacon und Alhazen. Über viele Seiten deckt Heitz auf wie es in der Vergangenheit zu diesem fatalen Mißverständis kam.
Weitere Kapitel des Buches widmen sich René Descartes Kontaktschläuchen, Christian Huygens Kontaktkegel, Philippe de La Hire’s Augencontacts, Jean Méry’s und François du Petit Neutralisation der dioptrischen Hornhautwirkung, Thomas Young’s Aufhebung der Hornhautwirkung mit einer Flüssigkeit, den Überlegungen von Frederick William Herschel mit einem Medium Irregularitäten der Hornhaut auszugleichen und der Ära der Ortoskope. Biographische Notizen der historischen Forscher ergänzen das Werk von Heitz. Der Autor hat zumeist die Originalmanuskripte auch in der Originalsprache zitiert.