In der folgenden Arbeit wurde der binokulare Visus von 130 Versuchspersonen ohne pathologische Augenveränderungen mit dem Freiburger Visustest (FVT), einer Landoltring-Tafel (4 Orientierungen) und der Bailey-Lovie-Tafel unter Laborbedingungen gemessen. Im Mittel über alle Personen ergab sich eine Sehschärfe von 1,93 ± 0,03 (FVT), 1,82 ± 0,03 (Landoltring-Tafel) sowie 1,48 ± 0,02 (Bailey-Lovie-Tafel).
Methodik unserer Untersuchungen
a) Freiburger Visustest (FVT)
Bei Wiederholungsmessungen lagen 50 % aller Einzelwerte des FVT
innerhalb von ± 0,35 Visusstufen vom Visusmittelwert. 95
% lagen innerhalb von ± 1,0 Visusstufen. Der Freiburger Visustest
ist ein computergestütztes Verfahren zur Bestimmung der Sehschärfe,
das die anzubietende Optotypengröße nach einer Optimalstrategie
auswählt und auf einem Bildschirm darbietet. Das Verfahren
arbeitet selbsttätig. Die Arbeit des Untersuchers beschränkt
sich auf die Eingabe der Antworten des Prüflings. Der Freiburger
Visustest (FVT) zeigt Landoltringe in 4 oder 8 Orientierungen. Das
Programm wurde von Bach (1995a,b) entwickelt. Es ist kostenlos über
das Internet erhältlich (www.michaelbach.de/fat.html)
läuft aber derzeit nur auf Apple Computern. Zur Messung wird
ein "intelligentes" Einschachtelungsverfahren angewandt,
das als "Best PEST" bezeichnet wird (PEST = parameter
estimation by sequential testing / Liebermann und Pentland, 1982).
Das Programm zeigt den Visus nach einer vom Benutzer eingestellten
Anzahl von Fragen auf dem Bildschirm an. Auf Wunsch kann dieser
Messwert automatisch in einen Wert umgerechnet werden, den man erhalten
hätte, wenn eine Messprozedur nach DIN EN ISO 8596 angewandt
worden wäre.
Darstellung der Landoltringe beim Freiburger
Visustest
Kleine Landoltringe können auf einem normalen Computermonitor
eigentlich nicht gut dargestellt werden, da die runde Form der Ringe
nicht zu der vorgegebenen quadratischen Pixel-struktur des Bildschirms
paßt. Der Freiburger Visustest verwendet ein als "Anti-Aliasing"
bezeichnetes Verfahren, das dieses Problem minimiert (Bach, 1997).
Bei diesem Verfahren werden die scharfkantigen Ecken, die auf dem
Pixelraster des Monitors eigentlich entstehen, durch zusätzliche
Grauwerte vermindert. So können auch Landoltringgrößen
dargestellt werden, die zwischen den DIN Visusstufen liegen. Nähere
Erläuterungen zu diesem Verfahren sind in der Bildunterschrift
von Abb. 1 aufgeführt.
b) Landoltring-Tafel
Als zweites Verfahren zur Sehschärfebestimmung wurden zwei
kommerziell erhältliche Landoltring-Tafeln eingesetzt. Eine
Tafel enthielt Landoltringe bis zum Visuswert 1,25. Zusätzlich
wurde eine weitere Landoltring-Tafel eingesetzt, die eigentlich
zur Bestimmung der Nahsehschärfe aus 40 cm gedacht war. Im
Laufe unserer Messungen zeigte sich, dass viele unserer Probanden
mehrere Reihen auf der Nahprobe auch aus der Ferne richtig lesen
konnten. Durch die beiden Tafeln wurden alle Visuswerte von ca.
0,1 bis 5,0 abgedeckt. Auf beiden Tafeln waren die Landoltringe,
abweichend von der derzeit geltenden DIN-Vorschrift, nur in 4 Orientierungen
abgedruckt. Jede Zeile enthielt 5 Landoltringe.
c) Bailey-Lovie Prüftafel
Das dritte Verfahren zur Sehschärfebestimmung war die in den
USA weit verbreitete Bailey-Lovie-Tafel (Abb. 2). Diese Tafel hat
folgende charakteristische Merkmale:
- Die Größenänderung der Optotypen ist normgerecht,
d.h. bei einem Sprung um 10 Visusstufen ändert sich die Optotypengröße
um das Zehnfache. Der Faktor der Größenänderung
pro Visusstufe beträgt 1,26. - Die einzelnen Buchstaben in jeder Reihe sind nach Herstellerangaben
fast gleich gut erkennbar. - In jeder Reihe werden 5 Buchstaben angeboten.
- Der Abstand der Sehzeichen zueinander und der Abstand der Reihen
voneinander ist proportional zur Sehzeichengröße.
Der letzte Punkt ist das charakteristische Kennzeichen
der Bailey-Lovie-Tafel. Durch das konstante Verhältnis von
Sehzeichengröße und Abstand führt eine Veränderung
der Prüfentfernung nicht zu einer Veränderung der geometrischen
Proportionen der Prüftafel. Deshalb kann die Tafel in einer
beliebigen Entfernung verwendet werden. Dies ist z.B. günstig
für die Sehschärfeprüfung von Amblyopen, deren Visus
durch den "Crowding-Effekt" beeinflußt
wird [1]. Da der Abstand der Buchstaben in jeder
Reihe gleich der Buchstabenbreite ist, beeinflusst der Crowding-Effekt
den Visus in jeder Prüfentfernung gleich stark. Bei Sehbehinderten
wird die Tafel in den USA oft aus kurzer Distanz (z.B. Prüfentfernung
1 m) benutzt.
Wie bei amerikanischen Sehprobentafeln üblich, ist der Visuswert
der Optotypen auf der Bailey-Lovie-Tafel nicht abgedruckt. Statt
dessen ist die Normalentfernung der Sehzeichen, also die Entfernung,
aus der ein Mensch mit dem Visus 1,0 die Zeichen gerade noch erkennen
kann, links neben jeder Zeile in Metern und Fuß angegeben.
Der Sehschärfewert jeder Zeile ergibt sich dann über die
Formel
Prüfentfernung | |
Visus =
|
——————- |
Normalentfernung |
In den USA wird dieser Quotient meist nicht ausgerechnet,
sondern als unausgerechneter Bruch auf die Verordnung geschrieben.
Insgesamt befinden sich 14 Optotypenreihen auf der Tafel. Die Normalentfernungen
reichen von 38 m bis 1,9 m. Bei einer Prüfentfernung von 5
Metern überdeckt die Tafel alle Visuswerte von 0,13 ( = 5 m/38
m ) bis 2,6 ( = 5 m/1,9 m ).
Versuchspersonen und Methodik
Als Versuchspersonen wirkten 130 Studierende der Höheren Fachschule
für Augenoptik im Alter von 23 – 27 Jahren mit. Alle Personen
trugen ihre habituelle Brillen- oder Kontaktlinsenkorrektion bzw.
eine Messbrille mit ihrer Korrektion. Bei den Versuchspersonen handelte
es sich um alle Studierenden von drei Jahrgängen unserer Schule.
Keine Person aus diesen Jahrgängen wurde aus der Auswertung
herausgenommen. Insofern sind die Ergebnisse auch ein repräsentatives
Spiegelbild der Sehleistung dieser Personengruppe.
Die methodischen Details unserer Untersuchung sind in den Klinischen
Monatsblättern für Augenheilkunde (Wesemann,2002b) ausführlich
beschrieben.
Ergebnisse
Abbildung 3 zeigt eine sortierte Darstellung der mit dem Freiburger
Visustest bei allen 130 Personen gefundenen Sehschärfe. Dargestellt
ist der Sehschärfemittelwert, der sich aus jeweils 4 Wiederholungsmessungen
ergab, und dessen Standardabweichung. Im Mittel über alle Messungen
ergab sich ein Visus von 1,93. Die geringste Sehschärfe war
1,03, der Rekordhalter bei unseren Messungen erreichte eine Sehschärfe
von 2,83. Insgesamt erreichten 7 der 130 Personen eine Sehschärfe
von mehr als 2,5. Nur zwei der 130 Personen hatten eine binokulare
Sehschärfe unter 1,25.
Abbildung 4 stellt die Ergebnisse, die mit dem Freiburger Visustest
gefunden wurden, den Ergebnissen gegenüber, die sich mit der
Landoltring- und der Bailey-Lovie-Tafel ergaben. Bei der Betrachtung
der Grafik sollte man daran denken, dass die Sehschärfe, die
mit den Prüftafeln gemessen wurde, grundsätzlich in ganzen
Visusstufen ansteigt, während der Freiburger Visustest den
Visus mit einer höheren Genauigkeit anzeigte.
Zusätzlich eingezeichnet sind zwei Regressionsgeraden,
die aus physiologischen Gründen durch den Nullpunkt gelegt
wurden. Betrachtet man zunächst die Regressionsgeraden in der
oberen Abb. 4a, so erkennt man, dass mit dem Freiburger Visustest
und der Landoltring-Tafel im Mittel etwa die gleichen Sehschärfeergebnisse
gefunden wurden. Aus der unteren Abb. 4b ergibt sich, dass die Sehschärfe
mit der Bailey-Lovie-Tafel im Vergleich zum Freiburger Visustest
systematisch niedriger ausfiel.
Testverfahren | Freiburger Visustest |
Landoltring-Tafel |
Bailey-Lovie-Tafel |
Sehschärfe mittelwert |
1,93 | 1,82 | 1,48 |
Prüfling mit dem kleinstem Visus |
1,03 | 0,88 | 1,00 |
Prüfling mit dem höchsten Visus |
2,83 | 3,00 | 2,46 |
Tabelle 1: Binokularer Fernvisus von augengesunden Versuchspersonen,
Leuchtdichte L = 80 cd/m²
Im Mittel über alle 130 Personen ergaben sich
die in Tabelle 1 angegebenen Sehschärfen. Zusätzlich sind
die Ergebnisse, die die Personen mit der höchsten und der niedrigsten
Sehschärfe erreichten, aufgeführt. Mit dem Freiburger
Visustest und der Landoltring-Tafel wurde im Mittel eine Sehschärfe
von 1,93 ± 0,03 bzw. 1,82 ± 0,03 erreicht [2].
Die Ergebnisse des FVT waren also im Mittel um eine viertel Visusstufe
höher als mit der Landoltring-Tafel. Da nach DIN EN ISO 8597
eine Differenz von 0,5 Visusstufen zulässig ist, können
beide Tests trotz dieses Unterschieds als äquivalent bezeichnet
werden. Die Bailey-Lovie-Tafel lieferte einen Visusmittelwert von
1,48 ± 0,02 also einen Wert, der um 0,9 Visusstufen niedriger
war als der Wert der Landoltring-Tafel. Damit ist die Bailey-Lovie-Tafel"
nicht äquivalent zu der von uns verwendeten Landoltring-Tafel.
Diskussion
Bei den hier vorgelegten Messungen ergaben sich sowohl mit dem Freiburger-Visustest
als auch mit der Landoltring-Tafel teilweise überraschend hohe
Visuswerte. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass so viele unserer
Probanden auf eine Sehschärfe von über 2,0 kommen würden.
Vergleich mit Ergebnissen anderer Autoren
Visusergebnisse, die unter standardisierten Bedingungen an augengesunden
Versuchspersonen ermittelt wurden, wurden auch von anderen Autoren
veröffentlicht. Diese Werte sind aber aufgrund verschiedener
Sehzeichen und Messverfahren nicht direkt mit den hier vorgelegten
Ergebnissen vergleichbar. Nach v. Benda (1971) erreicht man bei
Prüfung mit Landoltringen im Normalfall den Visus 1,9. Rassow,
Cavazos und Wesemann (1990) bestimmten die psychometrische Funktion
der Sehschärfe für Buchstaben und Landoltringe. Bei dieser
sehr auf-wendigen Untersuchung wurden für jede einzelne Visusbestimmung
jeweils 1080 verschiedene Optotypen dargeboten. Für Landoltringe
ergab sich bei 10 Studenten im Mittel ein Visus von 1,99 ±
0,33. Für serifenlose Buchstaben nach DIN 1451, Teil 2 betrug
der Visusmittelwert 2,11 ± 0,29.
Sowohl Aulhorn (1964) als auch Hauser et al. (1992)
untersuchten die Sehschärfe in Abhängigkeit von der Leuchtdichte
des Testfeldes. Deren Ergebnisse sind in Abb. 5 zusammenfassend
dargestellt. Bei niedrigen Leuchtdichten unterscheiden sich die
Visusergebnisse aufgrund der unterschiedlichen Darbietungsbedingungen
recht deutlich. Bei photopischen Leuchtdichten nähern sich
beide Kurve aber immer mehr an. Bei Leuchtdichten größer
als 100 cd/m² wurde im Mittel etwa der Visus 2,0 erreicht.
Hartmann (1978) bestimmte die Sehschärfe in Abhängigkeit
vom Kontrast der Optotypen (Abb. 6). Die Sehschärfe stieg bei
einer Erhöhung des Kontrasts zunächst steil an. Schließlich
nähert sich der Visus einem Grenzwert, der in Abbildung 6 je
nach Versuchsperson zwischen 2,0 und 2,8 lag.
Insgesamt gesehen stimmen die von uns erzielten Visusergebnisse
mit den in älteren Studien gefundenen also sehr gut überein.
Warum ist der Visus mit der Bailey-Lovie-Tafel
niedriger?
Mit der Bailey-Lovie-Tafel ergab sich eine Sehschärfe, die
um 1,15 Visusstufen niedriger war als beim FVT und um 0,9 Visusstufen
niedriger war als bei der Landoltring-Tafel. Eine Erklärung
für die geringere Sehschärfe liegt möglicherweise
im Problem der Kontureninteraktion (Haase und Rassow, 1995), denn
nahe beieinanderstehende Optotypen geben Anlass zu Trennschwierigkeiten.
Bei der Bailey-Lovie-Tafel ist der Abstand der Buchstaben gleich
der Breite der Sehzeichen. Bei einem Visuswert von 2,0 ist der Buchstabenabstand
also nur etwa 2,5 Winkelminuten. Dieser Abstand ist exakt der Wert,
bei dem die Beeinträchtigung der Erkennbarkeit von Optotypen
durch benachbarte Konturen maximal ist (Haase und Hohmann, 1982).
Anmerkungen zur Abstufung der Visuswerte
Bei Personen mit hoher Sehschärfe hat man bei Wiederholungsmessungen
manchmal den Eindruck, als ob die Einzelergebnisse, stark schwanken
würden. Dieser Eindruck täuscht aber, denn bei hohen Visuswerten
vergrößert sich die Schrittweite der DIN-Visusstufen
(DIN-Visusstufen: 1,0; 1,25; 1,6; 2,0; 2,5, 3,2). Der Erkennbarkeitsunterschied
zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zeilen bleibt aber immer gleich.
Diesen konstanten Erkennbarkeitsunterschied zwischen zwei Zeilen
auf der Visustafel nach DIN erreicht man, indem die Optotypengröße
von einer Reihe zur anderen um den Faktor
also um 26 %, verändert wird.
Praktische Hinweise zur Benutzung des Freiburger
Visustests
Bei der Arbeit mit dem FVT hat sich gezeigt, dass man folgende Hinweise
beachten sollte.
- Wenn zu Beginn der Messung bei großen Landoltringen aus
Versehen eine falsche Antwort gegeben wird oder der Untersucher
die richtige Antwort falsch eingibt, ist es günstiger, die
Messung abzubrechen und neu zu beginnen. Ansonsten sucht der Computeralgorithmus
den Visus an der falschen Stelle und verschwendet unnötige
Suchzeit. - Beim FVT kann der Prüfling seine Antworten über eine
zusätzliche Tastatur selbst eingeben. Diese elegante Methode
ist für ungeübte Personen aber unserer Meinung nach
nicht empfehlenswert, da der Patient dann ständig vom Monitor
zur Tastatur hin und her blickt. Dann muss die Akkommodation ständig
arbeiten und die Visusergebnisse fallen, besonders bei älteren
Personen, niedriger aus.
Warum bleibt eine hohe Sehschärfe manchmal
unentdeckt?
Die vorgelegten Ergebnisse haben gezeigt, dass optisch gut korrigierte
junge Erwachsene häufig Sehschärfewerte über 1,6
erreichen. Warum bleibt dies bei einer normalen Augenuntersuchung
oft unbemerkt?
Ein Grund ist, dass die üblichen Sehzeichenprojektoren überwiegend
beim Visus 1,6 enden. Wenn ein Prüfling tatsächlich einen
höheren Visus hat, ist das im Augenprüfraum oft nicht
feststellbar.
Ein zweiter Grund liegt in der Messprozedur. Einige Untersucher
werten eine Reihe genau dann als richtig gelesen, wenn alle Optotypen
richtig erkannt wurden. Wenn man genau nach DIN-Vorschrift vorgehen
will, muss eine Reihe aber bereits als richtig gewertet werden,
wenn 60% der dargebotenen Zeichen richtig vorgelesen wurden.
Drittens macht sich die Tatsache, dass in dieser Untersuchung die
Sehschärfe binokular gemessen wurde, bemerkbar, denn nach Home
(1978) ist die binokulare Sehschärfe für kontrastreiche
Sehzeichen auf hellem Umfeld im Mittel um ca. 7,5% höher als
die monokulare.
Ein vierter Grund ist die manchmal unzureichende Technik älterer
Sehzeichenprojektoren. Bei kleinen Buchstaben ist der Kontrast und
die Kantenschärfe der Optotypen möglicherweise nicht optimal.
Es könnte auch sein, dass die verwendeten Ziffern und Buchstaben
nicht richtig nach DIN EN ISO 8597 an den Landoltring angeschlossen
sind.
Ferner besteht zwischen der Sehschärfe, die bei optimaler Leuchtdichte
des Testfeldes erzielt wird, und der Sehschärfe, die man mit
einem Sehzeichenprojektor erreicht, nach Hauser et al. (1992) ein
Unterschied (Abb. 7). In der Altersgruppe von 20 bis 40 Jahren erhielt
Hauser bei optimalen Lichtverhältnissen im Mittel einen Visus
von 2,2. Mit einem Sehzeichenprojektor lag der gemessene Visus hingegen
nur bei 1,1. Interessanterweise wurde diese Diskrepanz mit zunehmendem
Alter immer kleiner.
Weiterhin hat die Tatsache, dass unsere Versuchspersonen
optisch besonders gut korrigiert waren, sicher einen visussteigernden
Effekt. Schließlich mag auch die Tatsache, dass es sich bei
unseren Versuchspersonen um geübte Beobachter gehandelt hat,
einen kleinen Einfluß gehabt haben. Der maximale Übungseffekt
bei der Visusbestimmung ist nach Ergebnissen von Rassow, Cavazos
und Wesemann (1990) aber kleiner als eine halbe Visusstufe. Der
Verdacht, dass unsere Versuchspersonen die Optotypen des FVT auswendig
lernen konnten, kann aber mit Sicherheit ausgeschlossen werden,
da jeder Landoltring beim Freiburger Visustest durch den Computer
nach dem Zufallsprinzip stets neu erzeugt wird und die neue Orientierung
weder dem Untersucher noch dem Untersuchten vor der eigentlichen
Darbietung bekannt sind.
Anschrift des Autors:
Priv.-Doz. Dr. W. Wesemann
Höhere Fachschule für Augenoptik Köln,
Bayenthalgürtel 6-8, D-50968 Köln
E-mail: wesemann@hfak.de
Legenden der Abbildungen:
- Anschauliche Darstellung des "Anti-Aliasing"-Verfahren
beim Freiburger Visustest. Das Verfahren dient dazu, sehr kleine
Optotypen, deren Gestalt sich nicht mehr richtig mit der vom Bildschirm
vorgegebenen Pixelgröße darstellen läßt,
angenähert darzustellen.
Oben links: Vorgabe des anzuzeigenden schwarzen Objekts auf dem
Pixelraster des Bildschirms. Oben Mitte: Schlechte Darstellung
des runden Objekts. Jedes Pixel, das zu mehr als 50% vom Objekt
überdeckt wird, ist schwarz. Alle anderen Pixel werden weiß
dargestellt. Oben rechts: Darstellung mit "Anti-Aliasing".
Nur die Pixel, die vollständig vom Objekt überdeckt
werden, sind schwarz. Alle anderen Pixel des Bildschirms zeigen
einen Grauwert, der gleich der Prozentzahl der von Objekt überdeckten
Fläche ist.
Zweite bis vierte Reihe: Stark vergrößerte Bildschirmdarstellung
von Landoltringen auf einem handelsüblichen Monitor. Mit
Anti-Aliasing wird die Form besser wiedergegeben . Mit diesem
Verfahren können auch Zwischengrößen dargestellt
werden, die eigentlich nicht zum Pixelraster des Bildschirms passen.
(Abbildung aus [2] mit freundlicher Erlaubnis) - Bailey-Lovie-Tafel. Der Abstand der Optotypen
zueinander und der Abstand der Zeilen voneinander ist proportional
zur jeweiligen Optotypengröße. - Binokularer Visus gemessen mit dem Freiburger
Visustest bei 130 Studierenden. Aufgetragen sind die Mittelwerte
von jeweils 4 Messungen und deren Standardabweichung. Die gemessenen
Sehschärfen variieren von 1,03 bis 2,83. (Alle Ergebnisse
wurden entfernungs- und DIN-korrigiert. Die Rundung der Ergebnisse
auf ganze Visusstufen war im Meßprogramm abgeschaltet.) - Binokulare Sehschärfe gemessen mit drei
verschiedenen Tests. Obere Abbildung: Vergleich Landoltring-Tafel
mit Freiburger Visustest. Untere Abbildung: Vergleich Bailey-Lovie-Tafel
mit Freiburger Visustest. Mit der Landoltringtafel und der Bailey-Lovie-Tafel
ist die Messgenauigkeit auf ganze Visusstufen begrenzt. Der Freiburger
Visustest ist nicht an die Visusstufen gebunden und liefert kontinuierliche
Ergebnisse. - Abhängigkeit der monokularen Sehschärfe
von der Leuchtdichte. Messergebnisse von zwei Arbeitsgruppen (Aulhorn,
1964; Hauser, Ochsner und Zrenner, 1992). Im Bereich geringer
Leuchtdichten unterscheiden sich die gemessenen Sehschärfen
aufgrund verschiedener Messbedingungen sehr stark. Im Bereich
hoher Leuchtdichten ergab sich bei beiden Untersu-chungen im Mittel
ein Visus von etwa 2,0. - Abhängigkeit der Sehschärfe vom Weber-Kontrast
der Optotypen. Die bei verschiedenen Personen gefundenen Werte
lagen innerhalb des schraffierten Bereichs. (Nach Hartmann, 1978) - Vergleich der Sehschärfe, die bei der
optimalen Leuchtdichte erzielt wurde, mit der Sehschärfe,
die mit einem kommerziell erhältlichen Sehzeichenprojektor
gemessen wurden. Bei "jungen" Erwachsenen unterscheiden
sich die Ergebnisse erheblich. (Nach Hauser et. al., 1992)
[Fussnoten]:
- Mit dem Wort " Crowding-Effekt" (von
engl.: crowd = eine große Anzahl von Personen oder Objekten,
die dicht zusammen stehen) wird in der physiologischen Optik die
Tatsache bezeichnet, dass – besonders bei amblyopen Augen – die
gemessene Sehschärfe bei sehr nahe beieinander stehenden
Optotypen um mehrere Visusstufen niedriger sein kann als bei frei
stehenden Einzelzeichen (Haase und Hohmann,1982). Im deutschen
Sprachraum bezeichnet man die Auswirkungen des "Crowding-Effekts"
oft auch als "Trennschwierigkeiten". Die Stärke
der Trennschwierigkeiten hängt vom Abstand der Optotypen
ab. Den maximalen Crowding-Effekt findet man bei einem Optotypenabstand
von etwa 2,6 Winkelminuten. - Vor der Mittelwertbildung wurden alle Visusergebnisse
logarithmiert, da nur so das physiologisch richtige Ergebnis herauskommt.
Literatur:
- Aulhorn E, Über die Beziehung zwischen Lichtsinn und Sehschärfe.
Graefes Archiv Ophthalmol, 1964; 167: 4-74. (zitiert nach Knoche
und Lindner, 1980) - Bach M, Der Freiburger Visustest. Der Ophthalmologe, 1995a;
92: 174-178. - Bach M, The "Freiburg Visual Acuity Test" – Automatic
Measurement of visual acuity. Optometry and Vision Science, 1995b;
73: 49-53. - Bach M, Anti-aliasing and dithering in the "Freiburg Visual
Acuity Test". Spatial Vision, 1997; 11: 85-89. - von Benda H, Verfahren zur Sehschärfebestimmung. Bücherei
des Augenarztes. Beiheft der Klin Monatsbl Augenheilkunde, 1971;
58. - DIN 1451, Teil2. Schriften, Serifenlose Linear-Antiqua, Verkehrsschrift.Typefaces.
Lin-eal Linear-Antiqua, Lettering for transportation. Berlin,
Deutsches Institut für Normung, 1986. - DIN EN ISO 8596, Sehschärfenprüfung, Das Normsehzeichen
und seine Darbietung. Beuth Verlag, Berlin, Köln, Mai 1996. - DIN EN ISO 8597, Sehschärfenprüfung. Verfahren zum
Anschluss von Sehzeichen. Beuth Verlag, Berlin, Köln, Februar
1996. - DIN 58220, Sehschärfenbestimmung Teil 3, Prüfung für
Gutachten. Beuth Verlag, Berlin, Köln, Januar 1997. - DOG, Empfehlungen der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft
zur Qualitätssiche-rung bei sinnesphysiologischen Untersuchungen
und Geräten. Der Ophthalmologe, 2000; 97: 923-964. - Haase W, Hohmann A, Ein neuer Test (C-Test) zur quantitativen
Prüfung der Trenn-schwierigkeiten ("crowding")
– Ergebnisse bei Ambylopie-Ametropie. Klin Monatsbl Au-genheilkunde,
1982; 180: 210. - Haase W, Rassow B, Sehschärfe. In: Strabismus, Hrsg. Herbert
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an verschiedenen Prüfplätzen. Augenoptik, 1980; 97:
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Heft 2, 32-38. - Wesemann W, Schärfebestimmung mit Freiburger Visustest,
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